Wenn der Körper die Wahrheit sagt – über Abnehmen, Persönlichkeitsentwicklung und Purpose
In den letzten Monaten habe ich mich mit einem Thema beschäftigt, das auf den ersten Blick banal wirkt – und auf den zweiten existenziell. Abnehmen und was das alles mit Persönlichkeitsentwicklung, mit Selbstführung und sogar mit dem eigenen Purpose zu tun hat.
Für mich hängen diese Themen für sehr eng zusammen. – Vielleicht fühlst auch du dich zu dick oder kannst deinen Körper aus anderen Gründen nicht leiden. Dann findest du in diesem Artikel möglicherweise einige neue Zusammenhänge, die dir mit diesem Thema helfen können.
Mein dickes Missverständnis
Gefühlt fand ich mich schon mit 12 dick. Im Nachhinein weiß ich, dass das ein Missverständnis war, weil ich mich damals verglichen habe, mit dem wie „man“ sein sollte, wie die anderen waren, die damals oft noch kindliche Figuren hatten. De facto begann das echte Übergewicht mit Mitte dreißig. Ich war alleinerziehend mit zwei kleinen Kindern, in zwei Jobs unterwegs, mit zwei Bandscheibenvorfällen, die Scheidung war frisch, meine Nerven lagen blank. Mein Körper hat das alles mitgetragen, wortwörtlich. Und er hat den Stress in Form von Gewicht gespeichert. Vielleicht, um mir Sicherheit, Stabilität und Erdung zu geben? Aber gefallen hat mir das natürlich nicht.
Dann kam das nächste Missverständnis bei mir. Ich habe das Thema so viele Jahre als persönliches Disziplin- und Commitment-Problem gesehen. Und gegen und mit meinem Gewicht gekämpft, mal mehr, mal weniger. – Und wir wissen ja, was passiert, wenn man im Widerstand ist: Das Problem verstärkt sich.
Auf meinem eigenen Purposeweg habe ich nun nochmal neu erkannt, dass es bei mir kein Fokus- und Disziplin-Problem ist. Es ist ein Upper-Limit-Problem. Und es gibt andere Wege damit umzugehen, als damit zu kämpfen.
Mein Upper-Limit-Problem
Der Begriff stammt aus The Big Leap von Gay Hendricks. Er beschreibt damit die innere Grenze, an die wir stoßen, wenn unser Leben eigentlich gerade immer besser und erfüllter wird. Wir nehmen wahr, es gibt mehr Erfolg, mehr Nähe, mehr Freiheit. Und dann beginnen wir Fehler zu machen, kämpfen, wollen etwas mit dem Kopf durch die Wand erreichen oder ziehen uns zurück. Mir ist es trotz meines umfangreichen Handwerkszeugs nicht gelungen abzunehmen. Das war nun viele Jahre biblisch gesprochen mein „Stachel im Fleisch“.
Da ist dann etwas in uns, das sagt: So viel Glück darfst du nicht haben. So viel Erfolg steht dir nicht zu. So viel Leichtigkeit – das passt nicht zu deiner Geschichte.
Dieses „etwas“ ist oft tief verknüpft mit dem Selbstbild, mit alten Prägungen, mit Scham. Und es wirkt wie eine gläserne Decke, gegen die wir immer wieder stoßen und uns damit selbst ausbremsen – ganz besonders, wenn wir beginnen, unser Herzensprojekt in die Welt zu bringen, um unseren Purpose zu leben. Denn Purpose ist – wenn wir ihn ernst nehmen – immer auch mit Sichtbarkeit verbunden.
Unser Purpose braucht ein Zuhause
Wenn auch du mit Menschen auf ihrem Weg arbeitest oder selbstständig bist, weißt du: Sichtbarkeit ist immer ein Thema von Persönlichkeitsentwicklung. Wer seinen Purpose leben will, muss sichtbar werden. Muss den Raum einnehmen, den er oder sie braucht. Und wie willst du dich zeigen, wenn du deinen eigenen Körper am liebsten verstecken möchtest?
Das war für mich der eigentliche Wendepunkt: zu erkennen, dass ich mich nicht nur körperlich unsichtbar gemacht hatte – sondern auch in meinem inneren Dialog. Ich habe mich selbst immer wieder klein gedacht. Mich ausgebremst. Und manchmal sogar geschämt, weil ich genau dieses Problem eben nicht auf die Reihe bekommen habe – trotz jeder Menge Know-how und toller Coachingmethoden.
In den Meisterworkshops, die ich dieses Jahr halte, geht es unter anderem um Fokus, Commitment, Gewohnheitsänderung, Veränderung des inneren Dialogs und innere Führung. Sollte jemand, der das wunderbar in fast allen Lebensbereichen anwenden kann, nicht auch abnehmen können?
Selbstdialog und Versöhnung auf dem Weg
Was wir über uns sagen – laut oder leise – hat Macht. Ich habe lange geglaubt, ich müsste mich „zusammenreißen“, „endlich mal disziplinierter werden“, „nur konsequenter essen“. Aber dieser Tonfall, diese Anweisungen an mich selbst, haben nie funktioniert. Auf dem Ohr war ich taub. Auch das hat natürlich etwas mit meiner Geschichte zu tun, dass ich nicht autoritär behandelt werden will.
Und genau das war ich mit mir, hart und abwertend. Ich war 40 Jahre im Kampfesmodus mit meinem Körper. Ich habe ihn gequält mit Blitzdiäten, langen Fastenzeiten oder Sportarten, die überhaupt nicht zu mir gepasst haben. Das war nicht hilfreich und alles andere als liebevoll.
So viele Jahre habe ich mich selbst kritisiert, statt mich zu begleiten. Aber genau das macht den Unterschied: Ob ich mir selbst die Hand reiche oder mich abwerte. Ob ich mein Tempo ehre oder mich antreibe. Ob ich meinem Körper zuhöre oder ihn übergehe.
Ich komme aus der Berufspädagogik, da geht man davon aus, dass jede erworbene Kompetenz in andere Lebensbereiche übertragbar ist. Ist sie auch, aber der Schlüssel ist, dass wir uns die Erlaubnis geben. Und die Erlaubnis hat viel mit dem Thema Selbstwert zu tun. Was gestehen wir uns zu? Wie gut kümmern wir uns um die verhungerten Anteile in uns, die nur darauf warten, dass wir mit ihnen in ein liebevolles Gespräch gehen?
Das ist Versöhnung. Wir dürfen uns selbst vergeben. Wir vergeben unserem Körper, der es eigentlich nur gut mit uns meint. Und der schon so lange treu für unser Überleben sorgt. Ich habe angefangen zu fragen, was er braucht. Was ich ihm lange verwehrt habe. Und was ich tun kann, um unsere Beziehung zu heilen.
Und weißt du was? Er hat geantwortet. Ich kann ihn immer besser hören, wenn er mir zum Beispiel sagt, dass er satt ist oder dass er eine Pause braucht. Er dankt es mir mit mehr Energie, mit mehr Freude und mit dem Gefühl, wieder mehr in mir Zuhause zu sein. Das ist ein großer Durchbruch für mich, der nichts mit dem Thema Gewicht zu tun hat.
Selbstführung statt Selbstoptimierung
Vielleicht ist das die eigentliche Krux beim Thema Abnehmen: Dass wir diesen Prozess zu oft durch die Brille der Selbstoptimierung betrachten – und zu selten als Einladung zur Selbstführung und Selbstfürsorge.
Ich habe mich wie oben schon angedeutet so viele Jahre gefragt, warum ich in den meisten Lebensbereichen kraftvoll vorangehen kann – mit Klarheit, Struktur, liebevollem Durchhaltevermögen – und ausgerechnet bei diesem einen Thema immer wieder strauchle. Die Antwort kam schleichend, aber langsam habe ich es verstanden: Weil ich dort nicht aus der gleichen Haltung heraus handele wie in den anderen Lebensbereichen.
Selbstführung bedeutet für mich heute etwas ganz anderes als früher. Es ist nicht der Ruf nach Disziplin. Es ist kein innerer Antreiber, der die Zähne zusammenbeißt. Sondern eine innere Chefin, die klar und freundlich ist. Die mich ernst nimmt. Die mich auch dann nicht verlässt, wenn ich zweifle oder langsamer werde.
Sie sagt nicht: „Du musst jetzt endlich …“
Sie sagt: „Ich bin da. Lass uns schauen, was du brauchst.“
Diese Art von Führung beginnt nicht mit einem neuen Plan oder einer Methode. Sie beginnt mit Beziehung. Mit Zuwendung. Mit einem echten Ja zu mir selbst – auch in den Momenten, in denen ich wieder in alte Gewohnheiten falle.
Vielleicht ist das die wichtigste Kompetenz, die wir lernen können: uns selbst halten zu können, auch wenn wir innerlich unsicher sind und uns schwach fühlen. Uns selbst immer wieder sanft in Bewegung zu bringen, nicht aus innerer Angst oder Ablehnung heraus, weil wir denken, wir müssten etwas – sondern weil wir uns wertschätzen.
So betrachtet ist Abnehmen kein Gewichtsreduktions-Projekt mehr für mich. Sondern ein Übungsfeld. Ein Raum für echte innere Entwicklung. Und ein Weg, auf dem ich mein wahres Selbst Stück für Stück wiederentdecke, wie im Inneren, so auch im Äußeren.
Der Körper als Resonanzraum
Ich glaube, unser Körper weiß oft viel früher als wir, was stimmt. Er zieht sich zusammen, wenn etwas nicht wahrhaftig ist. Er wird schwer, wenn wir gegen uns leben. Und er öffnet sich und kann loslassen, wenn wir bei uns ankommen.
Deshalb ist Abnehmen und unser Körperbild keine Frage der Kalorienbilanz, sondern der Beziehung zu uns selbst. Wenn wir unseren Körper als lebendigen Resonanzraum wahrnehmen, in dem unsere Wahrheit wohnt, dann verändert sich alles.
Dann beginnen wir, ihm zuzuhören – statt ihn zu manipulieren.
Dann beginnen wir, in Verbindung zu handeln – statt aus Angst.
Und plötzlich merken wir: Das Gewicht war nie das eigentliche Problem. Sondern das, was es über uns erzählen wollte.
Mein Weg – und wo ich heute stehe
Durch meine Arbeit an meinen zwei Buchprojekten (s.u.) habe ich viel mit meinem Upper-Limit-Problem auf psychischer und seelischer Ebene gearbeitet. Auch meine Ernährung und mein Denken über das Essen haben sich zum Positiven verändert. Habe ich viel abgenommen? Ein paar Kilos sind gegangen. Doch da bin ich nun geduldiger geworden mit mir. Es gibt eben keine 7 Kilo in 3 Wochen-Diät mehr. Was viel mehr für mich zählt und ein riesiges Geschenk für mich an mich selbst ist, dass ich meinen Körper wiedergefunden habe. Und er mich. Denn wir sind eins. Das hatte ich leider so viele Jahre vergessen.
Ich habe ihm versprochen, nie wieder mit ihm zu kämpfen. Nie wieder eine Diät zu machen, die ihn verletzt und bei der er brutal hungern muss. Wir sind ausgestiegen aus dem gemeinsamen Überlebenskampf. Er und ich.
Und ich habe zum ersten Mal seit langem das Gefühl, wieder in meinem Körper zu wohnen. Ich kann ihn wieder hören. Ich kann ihn wieder spüren. Und ich kann wieder meine eigene Schönheit sehen – nicht die, die en vogue ist, doch meine, die mich ausmacht.
Wie hängt das mit unserem Purpose zusammen?
Ich glaube, unser Purpose zeigt sich dort am klarsten, wo wir am längsten weggesehen haben. In unseren „Schwachstellen“ und unseren vermeintlichen Problemzonen. In den Wunden, die noch nicht ganz verheilt sind.
Mein Körper war so eine Zone. Und jetzt ist er ein Tor geworden. Immer wenn ich respektvoll durch dieses Tor gehe, finde ich zu mehr Selbstachtung, zu mehr Sichtbarkeit, zu mehr Wahrheit.
Und ich habe verstanden: Ich kann nicht über Selbstverwirklichung sprechen, wenn ich meinen Körper außen vorlasse. Ich kann nicht von Ganzheit schreiben, wenn ich selbst in Teilen lebe. Ich kann andere nur in ihr volles Potenzial begleiten, wenn ich mein eigenes anerkenne – mitsamt aller Stolpersteine.
Zwei neue Bücher, ein Herzensanliegen
Aus meiner inneren Reise sind zwei Projekte entstanden, die mir besonders am Herzen liegen. Sie gehören zusammen – wie Innen und Außen, wie Erkenntnis und Handlung.
In meinem Roman „Emilia und die Kunst, sich selbst zu finden“ (Buchlaunch 25.8., E-Book, Taschenbuch) erzähle ich von einer Frau, die nach Jahren der Anpassung langsam beginnt, sich selbst wieder zu spüren – in ihrem Körper, in ihrer Sprache, in ihrem eigenen Rhythmus. Es geht um Selbstwert, um Körperbild, um das Leben des Eigenen – gegen einige innere und äußere Widerstände.
Im neuen Workbook „Abnehmen. In 12 Wochen zu Wohlfühlgewicht und neuem Selbstbild“ (Buchlaunch 8.9., Taschenbuch, Hardcover und PDF) begleite ich dich Schritt für Schritt auf deinem Weg – nicht zu einem Ideal, sondern zu dir. Neben Ernährung und Mindset geht es um viele weitere psychologischen, emotionalen und seelischen Aspekte des Essens. Und um die Frage: Wie kann ich mit mir selbst wieder in eine gute Beziehung kommen?
Du findest die Taschenbuch-Ausgaben der Bücher in wenigen Wochen auf Amazon und ab Herbst auch im Buchhandel.
Dein Upper-Limit-Problem
Vielleicht hat dich dieser Artikel nachdenklich gemacht. Vielleicht hast du schon eine erste Idee, was dein Upper-Limit-Problem sein könnte, mit dem du schon seit geraumer Zeit kämpfst. Ich möchte dich einladen, dich diesem Problem liebevoll zu nähern. Denn es hat dir so viel zu sagen und zu geben! Ich wünsche dir von Herzen, dass du dich mit ihm versöhnen kannst. Denn genau dann wird dein Weg zum Purpose leichter. Oder die Annahme deines Purposes wird runder und vollständiger, wenn du ihn bereits für dich gefunden hast.


